Abendmahlskelch aus St. Marien in Naugard/Nowogard

Seit dem 25. Oktober ist im Pommerschen Landesmuseum ein neues Highlightobjekt ausgestellt: Einer der frühesten Abendmahlskelche Pommerns, eine Goldschmiedearbeit mit Szenen aus dem Leben Jesu auf dem Fuß. Er stammt aus St. Marien in Naugard/Nowogard und entstand im frühen 14. Jahrhundert. Es handelt sich um ein einzigartiges Kulturzeugnis mit einer spannenden Geschichte:

Der Kelch gehörte vermutlich zur Erstausstattung der Naugarder Pfarrkirche, deren Bau 25 Jahre nach der Stadtgründung 1334 fertiggestellt war. Die Stadt lag im Fürstbistum Cammin. Stadtherren waren die Grafen von Eberstein. Sie hatten den Flecken Naugard und die zugehörige Burg vom Bischof als Lehen erhalten und zur Stadt ausgebaut.

Auf dem Knauf am Schaft des Kelchs befindet sich als Inschrift der Name „OTTO“. Er verweist auf Bischof Otto von Bamberg, der vor rund 900 Jahren durch seine Missionstätigkeit die Grundlagen für den Landesausbau in Pommern gelegt hatte. Zugleich verweist der Name „Otto“ aber auch auf die Stadtherren, die Grafen von Eberstein, die ihre Söhne gerne nach dem „Pommernapostel“ benannten. Gut möglich, dass sie der Pfarrkirche ihrer Stadt den Kelch gestiftet haben.

Am Fuß ist in sechs Rundmedaillons die Heilsgeschichte Christi mit Geburt, letztem Abendmahl, Christus an der Martersäule, Kreuztragung, Kreuzigung und Auferstehung dargestellt. Solche szenischen Darstellungen sind ebenso wie die runde Fußform typisch für Abendmahlskelche um 1300.

Seit seiner Entstehung war der Kelch in St. Marien in Naugard über 600 Jahre lang kontinuierlich im Gebrauch, über die Schwelle der Reformation hinweg. Erst 1945 verließ er diesen Ort und gelangte zusammen mit dem Fluchtgepäck des Naugarder Superintendenten nach Grimmen und von dort später an das Konsistorium der lutherischen Kirche Pommerns nach Greifswald. Dort wurde er sicher verwahrt und geriet in Vergessenheit. Aber einer erinnerte sich: Dr. Gustav Seils, Sohn des Superintendenten von Grimmen, der den Kelch nach dem Krieg in Empfang genommen und später zur Kirchenleitung nach Greifswald gebracht hatte. Als Kind hatte Gustav dem Vater geholfen, die Holztruhe, in der sich der Kelch während der Flucht befunden hatte, aufzusägen. Die freudige Überraschung des Vaters, als damals der Kelch aus vergoldetem Silber zum Vorschein kam, hat das Kind nie vergessen. Nach rund 75 Jahren machte er sich auf die Suche, ihn wiederzufinden. Und er hatte Erfolg: Die kostbare Goldschmiedearbeit war nicht verloren! Wohlbehalten hatte sie im Tresor der Kirchenleitung überdauert. Umso größer war die Freude über die Wiederentdeckung, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Polen: „Ich hatte nicht damit gerechnet, dass der Kelch aus unserer Kirche sich irgendwann wiederfinden würde,“ schrieb Pfarrer Legutko an Gustav Seils: „Ich danke Ihrer Familie, dass der Kelch gerettet ist.“ 

Nun ist der Abendmahlskelch als Dauerleihgabe der Evangelisch-Lutherischen Nordkirche im Pommerschen Landesmuseum ausgestellt und somit einer großen Öffentlichkeit zugänglich. Im März erwarten wir den Besuch der katholischen Kirchengemeinde von St. Marien in Naugard/Nowogard im Pommerschen Landesmuseum.

Text: Ruth Slenczka
Online-Redaktion: Julia Kruse

Über die Rubrik: Neu im Museum
Unter dieser Rubrik stellt das Pommersche Landesmuseum regelmäßig neue Objekte vor: Leihgaben, Schenkungen oder Ankäufe aus den verschiedensten Bereichen der pommerschen Kultur, Kunst und Geschichte. Alle zwei Monate erwartet Sie hier ein neuer spannender Einblick in unsere Ausstellungen, Archive und Depots. Viel Spaß beim Lesen!

Dr. Ruth Slenczkas Vortrag: „Der Naugarder Abendmahlskelch im Pommerschen Landesmuseum. Fallstudie für das Konzept eines Regionalmuseums im europäischen Kontext“ können Sie in der Mediathek des Krupp Kollegs ansehen.

Naugarder Kelch, Detail: Medaillon mit Christi Geburt. Foto: Detlef Witt
Naugarder Kelch, Detail: Medaillon mit Christi Geburt. Foto: Detlef Witt
St. Marien in Naugard, etwa 1930/45. Foto: Archiv des Pommerschen Landesmuseums
St. Marien in Naugard, etwa 1930/45. Foto: Archiv des Pommerschen Landesmuseums