Bildgeschichte
Der Wolf und die Nachtigall
Eine Erzählung nach Ernst Moritz Arndt


Leider starb die Königin bereits früh. Der König war über den Verlust seiner geliebten Frau so sehr erschüttert, dass er sich lange Zeit weigerte wieder zu heiraten. In dieser Zeit der Trauer wuchsen die Königskinder heran und nahten sich schon bald dem Erwachsenenalter.



Die Verlobung erfreute den König sehr und er nahm seinen künftigen Schwiegersohn mit offenen Armen auf. Die Königin hingegen war erzürnt darüber, und wollte die bevorstehende Vermählung um alles in der Welt verhindern. Sie überlegte sich verschiedene Listen, doch keine gelang ihr, da die Prinzessin von der Dienerschaft sehr verehrt und stets behütet wurde.

Vor der Trauung bat sie die beiden Königskinder, Bruder und Schwester, in den Schlossgarten. Sie sagte, sie hätte eine ganz wundersame Blume gefunden, die sie ihnen gerne zeigen würde. Die Kinder ahnten nichts Böses. Während sie die Blume betrachteten, konnte die Königin, fern von den Augen der Anderen, ihren Zauber verrichten. Sie stellte sich hinter die Königskinder, strich mit einem Zweig über ihren Rücken und sprach leise ihren Zauber aus.





Das Gerede der Leute blieb nicht fern. Sie redeten hinter dem Rücken der Königin, und flüsterten böse Sachen über sie. Sie scherte sich darüber recht wenig, weil sie die Macht hatte. Ebenso war sie sich sicher, dass die Tiere sich nicht zurückverwandeln würden.

Im Gewand der Nachtigall saß die verwandelte Prinzessin oft auf einem Baum inmitten einer Lichtung. Den Platz liebte die Prinzessin schon seit ihrer Kindheit. Von dort aus ließ die Nachtigall ihre Lieder erklingen. Der wundersame Ton lockte so manche Jäger und Tiere auf die Lichtung, welche dort rasteten und den schönen Klängen lauschten. Auch ihren Bruder, im Gewand des Wolfes, zog es dorthin.



Der Prinz aus dem Ostland floh von einem Ort zum nächsten. Seine lange Reise endete erst in seinem Heimatland. Dort fand er Schutz bei seinem Vater. Dieser bat ihn jedoch, nach den verschollenen Königskindern zu suchen. So reiste er trotz der Gefahren wieder in das Land der bösen Königin.



Der Wolf sprang auf die böse Königin zu und warf sie von ihrem hohen Thron hinab auf den Boden. Sie schrie laut auf, und wurde von dem wütenden Tier getötet.

Sein Gesicht war blutverschmiert und in seinen Augen glänzte noch die Wut des Wolfes. Einige Soldaten hielten ihn für einen Verbrecher, doch die langjährigen Diener des Schlosses erkannten den verschwundenen Königssohn und beschützten ihn.

Als er den Schlosshof wieder betrat, wurde ihm jedoch ganz schwer ums Herz. Er musste an seine geliebte Schwester denken, die noch vermisst wurde. Aber er fühlte, dass sie noch am Leben war.

Dort fand er ein schlummerndes Mädchen unter einem großen Baum vor. Näher kommend erkannte er die verschwundene Prinzessin. Durch den Tod der Königin war der böse Zauber gelöst worden und sie hatte sich zurückverwandelt.

Nach einiger Zeit öffnete sie die Augen und fuhr erschrocken hoch. Sie war erstaunt über ihre menschliche Gestalt, und die Anwesenheit des Prinzen. Er berichtete vom Tod des Vaters und der grausamen Herrschaft der Königin. Sie kehrten ins Schloss zurück, um deren Herrschaft zu beenden. Sie wussten ja noch nichts von ihrem Tod.

Der Prinz war darüber sehr traurig, aber auch froh, die Prinzessin wohlauf gefunden zu haben. Ihrem Glück und ihren Wünschen wollte er nicht im Wege stehen. So lösten sie ihre Verlobung und kehrten zum Schloss zurück.

Alsbald wurde ein großes Fest gefeiert, und der Königssohn wurde zum neuen Herrscher gekrönt. Der Prinz aus dem Ostland blieb ein enger Freund der Königsfamilie. Die Prinzessin fand ihr Glück in ihrer ersehnten Unabhängigkeit.


Original von Ernst Moritz Arndt
Nacherzählung und Illustrationen von Johanna Gaede
Gesetzt in der Optima
Im Auftrag des Pommerschen Landesmuseums
Copyright 2019